Es ist Sommer und viele von uns schauen mit leichter Verwunderung auf dieses fremd wirkende Körperteil: ihre Füsse. Das ganze Jahr über eingesperrt in Socken und Schuhen, dürfen sie für kurze Zeit etwas öfter an die frische Luft. Dabei hätten sie viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn sie tragen uns zuverlässig durchs Leben und haben dabei einen wesentlichen Einfluss auf unsere Gesundheit.
Beitrag im AQTUELL 2.23, S. 4/5
Kundenmagazin der Krankenversicherung Aquilana
Schuhe aus und los. Über trockene Grasstoppeln, die schmerzhaft in die Fusssohlen stechen, zu einem rauen Felsabschnitt und dann möglichst schnell durch den brennend heissen Sand, unbeholfen stapfend und hüpfend. Danach wird der Grund unter den Füssen wieder fester, beim Gehen schmatzt der feuchte Sand zwischen den Zehen – und endlich umspülen kühle Wellen die Knöchel.
Dieser erste Gang über den Strand zum Meer: ein Feuerwerk an Sinneseindrücken. Zumindest barfuss. Wer hingegen Schuhe trägt, spürt wenig bis nichts und muss sich nachher dennoch den Sand aus Schuhen und Socken klopfen.
Sicher unterwegs
Schon Leonardo da Vinci war sich bewusst: «Der Fuss ist ein technisches Wunderwerk.» 26 Knochen, 20 Muskeln, mehr als 30 Gelenke, zahlreiche Sehnen und Bänder, rund 1’700 Sinneszellen. Ein Viertel aller Knochen des menschlichen Körpers befindet sich in den Füssen. Obwohl viele davon nur kleine Knöchelchen sind, ist es nicht nur eine komplexe, sondern auch eine äusserst starke und belastbare Konstruktion. Man schätzt, dass ein Mensch ungefähr 3,5 Millionen Schritte pro Jahr macht und uns unsere Füsse drei- bis viermal im Leben rund um die Erde tragen. Dabei lastet ein enormes Gewicht auf ihnen: bis zu 2’500 Tonnen pro Tag, abhängig von Körpergewicht und Bewegungsintensität. Beim Joggen beispielsweise müssen die Füsse bei jedem Schritt das zwei- bis dreifache Körpergewicht tragen.
«Unsere Füsse sind unser Fundament, unsere Erdung, und trotzdem schenken wir ihnen kaum Beachtung», so Roman Gull. Der Fusstrainer bietet schweizweit Kurse an und weiss, wie wichtig die Füsse für die Gesundheit sind. Stabilität und Gleichgewicht sind zu einem grossen Teil das Verdienst der Füsse. Sie leiten dem Gehirn Informationen zum Untergrund weiter: ein wackliger Stein beim Wandern, unebener Waldboden, glitschige Steine am Flussufer. Blitzschnell können sich Haltung und Körperspannung dank der zusammenhängenden Muskelkette, die den ganzen Körper durchzieht, anpassen. Durch die ständige Massage der Fusssohlen wird zudem die Durchblutung gefördert und der Stoffwechsel angeregt, was sich positiv auf die Herzgesundheit auswirken kann. Die Lehre der Fussreflexzonen geht gar davon aus, dass sich über bestimmte Bereiche am Fuss verschiedene Organe und Körperstellen gezielt stimulieren lassen.
Schuhe – Schutz oder Krux?
Besonders effizient funktioniert das alles natürlich barfuss. Trotzdem stecken unsere Füsse die meiste Zeit in Socken und Schuhen. Seit Tausenden von Jahren schützt der Mensch seine Füsse auf diese Weise vor Kälte und Verletzungen. Waren es am Anfang noch einfache Lappen, die um die Füsse gebunden wurden, trug die Gletschermumie Ötzi bereits clever konstruierte Lederschuhe mit einer Polsterung aus Heu.
Heute pressen wir unsere Füsse in Schuhe, die modischen Strömungen unterworfen sind und von einem problematischen Schönheitsideal dominiert werden. «Immer wieder sehe ich, wie viele Leute zu kurze und zu enge Schuhe tragen», sagt Roman Gull. «Aber beim Abrollen streckt sich der Fuss und die Zehen brauchen genügend Platz.» Heikel sind auch Absätze und die sogenannte Sprengung – das heisst, wenn der Schuh im vorderen Bereich nicht flach auf dem Boden aufliegt. Beides führt zu einer unnatürlichen Druckverteilung im Fuss und verändert die Körperstatik. Gull erklärt: «Bereits ein Absatz von einem Zentimeter bringt einen 1 Meter 80 grossen Erwachsenen auf Kopfhöhe um 5 bis 6 Zentimeter aus dem Lot, was der Körper ausgleichen muss.» Mögliche Folgen: überlastete Gelenke, Kniebeschwerden, Rückenschmerzen oder Nackenverspannungen. «Ausserdem nehmen die Schuhe ihren Trägern oft zu viel Arbeit ab», führt Roman Gull weiter aus. «Sie stützen und federn und lassen dabei die natürliche Muskulatur des Fusses verkümmern.»
Grosser Zeh mit grosser Bedeutung
Für die Balance und das Körpergefühl besonders wichtig ist der grosse Zeh. Allerdings wird der Begriff Hallux, eigentlich die lateinische Bezeichnung für den grossen Zeh, heute meist im Zusammenhang mit einer häufigen Fehlstellung verwendet: dem Hallux valgus. Das zeigt, wie es um unsere Füsse steht. Von Knick-, Senk-, Platt- oder Spreizfüssen bis zum Fersensporn – Fussprobleme sind weit verbreitet. Beim Hallux valgus weicht der grosse Zeh zur Fussmitte aus und überlappt im Extremfall sogar die zweite Zehe. Dadurch kann der grosse Zeh einen viel geringeren Anteil der Körperlast übernehmen und der Stand wird instabiler.
«Idealerweise liegt der grosse Zeh in gerader Linie mit Fussinnenkante und Ferse», so Gull. Bei indigenen Völkern, die keine Schuhe tragen, gibt es kaum Fehlstellungen. Ebenso kommen 98 Prozent aller Kinder mit gesunden Füssen zur Welt. Doch im Kindergartenalter zeigen sich bei einer Mehrheit bereits erste Ansätze von Fehlstellungen.
Zurück zu barfuss
Deshalb heisst es: raus aus Schuhen und Finken – selbst Socken engen die Füsse ein. Gleichzeitig mahnt Roman Gull zur Vorsicht: «Jahrzehnte in schlecht sitzenden Schuhen lassen sich nicht von heute auf morgen rückgängig machen. Es braucht Zeit und Training, bis ein Fuss wieder über seine natürliche Stärke verfügt.» Zuerst sollten die Füsse mobilisiert, gelöst und gedehnt werden. Danach kann man mit einfachen Kräftigungsübungen und Zehenyoga beginnen (siehe Seite 8). Auch Barfuss-Schuhe allein machen kranke Füsse nicht wieder gesund. Gleich wie bei normalem Schuhwerk ist bei Barfuss-Schuhen unbedingt auf die richtige Grösse und einen korrekten Sitz zu achten. Eine professionelle Beratung ist deshalb dem Onlinekauf vorzuziehen. Die Umstellung sollte ebenfalls langsam erfolgen.
«Es ist nie zu spät, um mit Fusstraining zu beginnen!», ist Roman Gull überzeugt. Auch für Leute mit einer Fehlstellung oder wenn jemand orthopädische Einlagen trägt, lohnt es sich, die Füsse beweglicher zu machen und die Muskulatur aufzubauen. Einzig Diabetikern rät der Fusstrainer, nur in kontrollierter Umgebung barfuss zu laufen, um kein Verletzungsrisiko einzugehen. Für alle anderen gilt: «Der beste Barfussweg beginnt gleich vor der eigenen Haustür.» Und sei es nur einmal am Tag bis zum Briefkasten.
Achtung, Kinderfüsse!
Einen Spielraum von 12 Millimeter in der Länge sollten alle Schuhe aufweisen, ganz gleich ob bei Erwachsenen oder Kindern. Im Alter von 3 bis 6 Jahren wachsen die Füsse allerdings bis zu einem Millimeter pro Monat. Es ist deshalb wichtig, dass Eltern laufend ein Auge auf die Schuhe ihrer Kinder haben. Gemäss dem österreichischen Sportwissenschaftler Wieland Kinz trägt die Mehrheit der Kinder zu kleine Schuhe. Das hat Folgen. So konnte der Experte für Kinderfüsse nachweisen, dass zu kurze Schuhe bereits bei unseren Kleinsten zu Schäden führen. Ihre Füsse sind in den ersten Lebensjahren noch weich wie Gummi, die Knochen bilden sich nach und nach vollständig aus. Erst mit rund 14 Jahren ist dieser Prozess abgeschlossen. Dadurch sind Kinderfüsse besonders anfällig für Schäden durch unpassende Schuhe.
Am besten sind Kinder deshalb möglichst oft barfuss unterwegs. Bei Säuglingen kann man häufig auch die Socken weglassen, sie fühlen sich mit nackten Füsschen sowieso am wohlsten. Beim Erkunden der Welt spielen die Füsse auf jeder Entwicklungsstufe eine zentrale Rolle, vom Drehen übers Krabbeln bis zum Aufstehen und Laufen – und barfuss geht das alles einfach am besten.
Mehr Infos zu Kinderfüssen, Tipps zum Schuhkauf, Vorträge sowie ein simples Messgerät, das den Kauf von passenden Schuhen auch für Eltern endlich kinderleicht macht, auf: www.freilaufen.ch
> Download: Artikel (PDF) | Zehenyoga – So machen Sie Ihre Füsse fit (PDF)