Die Gletschermumie Ötzi soll Heilpflanzen bei sich getragen haben und im alten Ägypten dienten sie als Grabbeigabe – das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen ist ein Jahrtausende altes Kulturerbe. Es wird nicht nur in der Alternativmedizin genutzt, sondern hat zunehmend auch einen festen Platz in der Schulmedizin.
Beitrag im AQTUELL 1.23, S. 4/5
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Fiebersenkend, entzündungshemmend, schmerzstillend – lange Zeit galt Aspirin als Schmerzkiller schlechthin. 1991 wurde das damals meistverkaufte Schmerzmittel sogar ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Als es vor mehr als hundert Jahren gelang, den in Aspirin enthaltenen Wirkstoff Acetylsalicylsäure synthetisch herzustellen, war das zwar ein enormer Erfolg, jedoch keine eigentliche Neuentdeckung. Denn die Heilwirkung von Salicin, einem Stoff, der in der Rinde von Weiden vorkommt, war längst bekannt.
Wie das Salicin in der Weidenrinde gibt es unzählige Pflanzenwirkstoffe, die dem Menschen seit Urzeiten helfen, Beschwerden zu lindern, Verletzungen und Krankheiten zu heilen oder das Wohlbefinden zu steigern. Die Quellen dafür reichen weit zurück. Etwa eine 3500 Jahre alte Papyrusrolle mit Heilpflanzenanwendungen aus altägyptischer Zeit. Oder die antike Schrift «De materia medica» des griechischen Arztes Dioskurides. Später legte Kaiser Karl der Grosse 73 Nutz- und Heilpflanzen sowie 16 verschiedene Obstbäume fest, die auf den kaiserlichen Gütern anzupflanzen waren. Die Klostermedizin des Mittelalters gilt als eigener Entwicklungsabschnitt in der Medizingeschichte. Damals lag die medizinische Versorgung hauptsächlich in den Händen von Mönchen und Nonnen. Dank den schützenden Mauern gediehen in den Klostergärten sogar Pflanzen, die ihren Ursprung im warmen Mittelmeerraum hatten.
Tiere zeigen, wie’s geht
Doch woher hatten die früheren Menschen ihr Wissen, welche Pflanzen zu Heilzwecken genutzt werden können? Neben Erfahrungen am eigenen Leib spielte wohl die genaue Beobachtung von Tieren eine wichtige Rolle. In ihrem umfassenden Werk «Phytotherapie in Theorie und Praxis» (siehe Seite 5) beschreiben die Autorinnen Cornelia Stern und Helga Ell-Beiser zwei Beispiele, wie sich Tiere als Lehrmeister zeigen: etwa wenn Vögel ihr Nest mit Lavendel bestücken und ihre Jungtiere so gegen Milben schützen. Oder wenn Kühe auf der Weide in einem nassen Sommer gern Mädesüss fressen – eine Pflanze, die bei Erkältungen eingesetzt wird –, während sie das Kraut bei trockenem Wetter kaum anrühren.
Die Entwicklung der Naturwissenschaften im 18. und 19. Jahrhundert ermöglichte einerseits die Herstellung synthetischer Arzneimittel, andererseits machte auch die Botanik grosse Fortschritte. Nun konnten Wirkstoffe bestimmt und isoliert werden. Noch immer geht unsere aktuelle Phytotherapie – von griechisch «phytos» für «Pflanze» – jedoch zu einem Grossteil auf das überlieferte Wissen zurück. Wobei man heute zwischen traditioneller und rationaler Pflanzenheilkunde unterscheidet. Letztere nutzt die modernen wissenschaftlichen Instrumente, um ihre Wirksamkeit durch Forschung und Studien nachzuweisen. Das Augenmerk liegt dabei auch auf möglichen Nebenwirkungen sowie auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Denn Phytopharmaka müssen gleich hohen qualitativen Anforderungen genügen wie chemisch-synthetisch hergestellte Medikamente.
Das Überleben sichern
Pflanzen enthalten eine Vielzahl von aktiven Substanzen. Geht es um ihre medizinische Heilkraft, sind vor allem die sogenannt sekundären Inhaltsstoffe interessant. Diese benötigt eine Pflanze nicht primär für ihren Stoffwechsel, sondern zum Überleben, etwa um Krankheitserreger abzuwehren, sich vor Frassfeinden zu schützen oder bestäubende Insekten anzulocken. «Nicht alle diese Inhaltsstoffe können auf dieselbe Art gelöst und zu einem Heilmittel verarbeitet werden», weiss die diplomierte Naturheilpraktikerin und Phytotherapeutin Sarah Müllhaupt. «Ob man eine Tinktur zubereitet, einen Tee zusammenstellt oder einen Wickel macht, hängt immer von der verwendeten Pflanze und ihren Inhaltsstoffen ab, und davon, welches Leiden behandelt werden soll.»
Gerbstoffe beispielsweise lassen sich gut in heissem Wasser lösen. Sie wirken unter anderem adstringierend, also zusammenziehend, austrocknend und juckreizlindernd, weshalb sie als Waschung bei nässenden Ekzemen eingesetzt werden können. Im Gegensatz dazu haben Schleimstoffe eine befeuchtende Wirkung. So schützt Malventee die Schleimhäute des Verdauungstraktes bei Magenbeschwerden. «Bei einer Stirnhöhlenentzündung hilft ein Breiumschlag mit Leinsamen, sie bringen den Eiter zum Fliessen», erklärt Sarah Müllhaupt (Rezept siehe Seite 8). Auch Flavonoide tun Gutes. Sie wirken antioxidativ, antibakteriell und stärken die Gefässe. Sie kommen oft in den überirdischen Teilen von gelbblühenden Pflanzen vor. Der Gelbe Steinklee beispielsweise fördert den Lymphfluss, löst Wassereinlagerungen und stabilisiert die Venen. Hier eignet sich die Anwendung mit einer Tinktur. Gemäss Sarah Müllhaupt lassen sich Tinkturen äusserst einfach selbst herstellen: Die klein geschnittenen Pflanzenteile mit hochprozentigem Alkohol bedecken, zwei Wochen stehen lassen, ab und zu schütteln und am Schluss absieben.
Heilkräuter in der Küche
Werden Heilpflanzen in der Ernährung verwendet, zählt das nicht zur offiziellen Phytotherapie. Aus Sarah Müllhaupts Sicht eine verpasste Chance. Gerade Bitterstoffe kommen in zahlreichen Salaten wie Chicorée, Endivie oder selbst gesammeltem Löwenzahn vor. Von unseren einheimischen Gewächsen ist der Wermut das stärkste Bitterkraut, hier reichen ein paar Tropfen der Tinktur. «Bitterstoffe kurbeln die Verdauungssäfte an und sind deshalb am effektivsten, wenn sie rund eine halbe Stunde vor dem Essen eingenommen werden», so die Phytotherapeutin. «Genau das war die ursprüngliche Idee des Apéros mit seinen bitteren Getränken.»
Noch unzählige weitere Inhaltsstoffe verleihen den Pflanzen ihre Heilkraft. Weil das Verhältnis von Nutzen und Risiko in der Regel sehr gut ist und pflanzliche Heilmittel eine hohe Verträglichkeit sowie wenig Nebenwirkungen aufweisen, kommt ihnen zunehmend ein fester Platz in der Schulmedizin zu. Da die Wirkstoffe teilweise überaus potent sind, ist trotzdem Vorsicht angesagt. Aus diesem Grund sind alle Heilpflanzen, die offiziell verwendet werden dürfen, in der «Pharmakopöe», einem rechtlich verbindlichen Kompendium von Swissmedic, aufgeführt. Es gilt für pflanzliche Arzneimittel genauso wie für getrocknetes Pflanzenmaterial aus der Apotheke. Dieses wird zusätzlich im Labor geprüft, unter anderem auf seine Wirkstoffkonzentration.
Auch Phytotherapeuten dürfen nur Heilmittel der «Pharmakopöe» abgeben, damit die Sicherheit der Patientinnen und Patienten gewährleistet ist. Wer pflanzliche Heilmittel längerfristig anwenden möchte, etwa zur Unterstützung bei chronischen Krankheiten, lässt sich ohnehin am besten von einer Phytotherapeutin begleiten oder in der Apotheke beraten. «Bei leichten Symptomen, die akut auftreten, kann man sich mit bewährten Hausmitteln auch mal selbst behandeln», so Sarah Müllhaupt. «Ernsthaftere Erkrankungen – oder wenn Symptome über Tage anhalten – gehören aber immer in die Hände eines erfahrenen Phytotherapeuten oder einer Ärztin.»
Brennnessel-Energiekugeln
Ein Rezepte von Sarah Müllhaupt, Phytotherapeutin und Naturheilpraktikerin
Eine geballte Ladung Energie bei winterlicher Erschöpfung oder Frühjahrsmüdigkeit. Brennnesseln gelten als wahrer einheimischer Superfood. Dank Vitaminen und Mineralstoffen, Flavonoiden und Schleimstoffen helfen sie unter anderem bei Harnwegserkrankungen, Gicht, Allergien oder Erschöpfung. Die jungen Blätter können von März bis Oktober gepflückt und als Tee oder wie Spinat zubereitet werden. Die Samen werden von Juli bis Oktober geerntet und getrocknet. Sowohl Blätter wie auch Samen sind getrocknet in einer gut assortierten Kräuterapotheke erhältlich. Vorsicht: Beim Ernten Handschuhe nicht vergessen!
Zubereitung:
60 g Sonnenblumenkerne und 100 g Walnüsse kurz in der Pfanne rösten. Mit 150 g Cranberrys, 150 g Datteln, 50 g Haferflocken und 1 Prise Zimt in den Mixer geben und aus der Masse Kugeln formen. Die Kugeln in 8 EL Brennnesselsamen wenden.
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